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Virtuelle Teams zum Erfolg führen

05.01.2017 • Holger Nauheimer

 

Vermutlich haben wir die Vorhersage von Tammy Johns and Lynda Gratton von 2013 schon längst überschritten. In einem Artikel für den Harvard Business Review gaben sie an, dass bald schon mehr als 1,3 Milliarden Menschen virtuell arbeiten würden. Sind Sie schon Teil dieser neuen Klasse? Wenn Sie in einem Unternehmen beschäftigt sind, das Geschäftsstellen oder Produktionsstätten an mehr als einem Ort hat und sich mit einem von Ihnen geografisch entfernten Menschen verbinden müssen, um ihre Arbeit erledigt zu bekommen, dann gehören sie dazu. Wenn man es genau nimmt, arbeiten wir ja schon seit der Erfindung des Telefons virtuell.

Trotzdem hängen wir noch einem alten mentalen Modell an, das uns suggeriert, dass Teamarbeit dann stattfindent, wenn Menschen sich physisch am selben Ort befinden. Viele Versuche, hoch effektive virtuelle Teams zu entwickeln – also Gruppen von Menschen, die über Raum und Zeit getrennt voneinander sind – sind gescheitert und virtuelle Büros haben noch lange nicht den Status eines aus Stein, Glas und Stahl geformten Büros erreicht. Warum ist es so, dass Unternehmen mehr Geld in ihre physische als ihre virtuelle Arbeitsumgebung stecken?

Dies mag vielleicht darin begründet sein, dass wir nicht wirklich die verschiedenen Aspekte eines virtuellen Teams erfasst haben. Vor 30 Jahren hat Robert Dilts, basierend auf der früheren Arbeit von Gregory Bateson, ein umfassendes Modell für Entwicklungsprozesse vorgeschlagen. Er nannte es die "Logischen Ebenen" und es kann auf alle möglichen persönlichen oder organisationellen Veränderungen angewendet werden. Im Folgenden möchte ich mit Hilfe des Modells erklären, wie man virtuelle Teams erfolgreich machen kann.

 

 

UMGEBUNG: Es gibt einige Herausforderungen für Teams, wenn sie sich auf die Suche nach den geeigneten Plattformen für ihre Zusammenarbeit begeben. Diese sollten zweckdienlich sein und benutzerfreundlich. Es ist ja nicht so, dass die richtigen Werkzeuge nicht zur Verfügung ständen. Es gibt eine große Auswahl von Plattformen, die den speziellen Anforderungen eines Teams genügen können – für asynchrone, zeitnahe und synchrone Zusammenarbeit. Die Probleme fangen meist an, wenn ein Team sich für ein spezifisches Werkzeug entscheidet und die Antwort der IT-Abteilung ein klares GEHT LEIDER NICHT! ist. Man muss das verstehen: die Sicherheit des betrieblichen IT-Systems ist unverzichtbar und die IT-Abteilungen sind die wichtigsten Wächter der betrieblichen Integrität. Aber IT-Nerds haben ganz andere Bedürfnisse und Verhaltensweisen in Bezug auf Online-Kooperation. Es reicht nicht aus, sie mit dem Design einer Plattform zu beauftragen. Ein Team muss zuerst seinen genauen Bedarf definieren und dann in einen Verhandlungs- und Co-Entwicklungsprozess mit den IT-Spezialisten eintreten.

VERHALTEN: Tom Coughlan hat das Konzept der virtuellen Nähe beschrieben – die Fähigkeit, Beziehungen mit der Hilfe von Kommunikationstools aufzubauen. Während im nächsten Absatz die Rede von Fähigkeiten sein wird, sollte es selbstverständlich sein, dass der Aufbau von Beziehungen eine aktive Tat ist. In der uns gewohnten Welt enstehen Beziehungen dadurch Begegnung (und durch Zufälle) – wir denken meist nicht darüber nach. Wir lernen das einfach seit unserer Kindheit und manche von uns sind darin besser als andere. In der "reellen" Welt ist es nützlich, wenn wir uns um den Aufbau von Beziehungen bemühen. In der virtuellen Welt ist es unabdingbar. Wir müssen regelmäßig und häufig Kontakt zu anderen herstellen und andere darin unterstützen, ihren Weg durch den Dschungel der virtuellen Welt zu finden.

Und dann gibt es noch das Thema der Zuverlässigkeit. In virtuellen Welten fällt es meist schwerer, das Verpassen einer Deadline zu rechtfertigen. Wenn wir nicht so oft im Kontakt sind wie in einem traditionellen Büro, können sich schnell Annahmen über die Zuverlässigkeit von Kollegen bilden und verfestigen. Das Korrigieren von einmal aufgebauten Stereotypen und Vorurteilen – ohnehin keine leichte Übung – fällt noch schwerer. Also sollten wir möglichst unsere Versprechen einhalten.

ALLES, DAS ÜBER SOFT SKILLS UND FÜHRUNG IN TRADITIONELLEN ARBEITSSETTINGS GESAGT WURDE, WIRD IN DER VIRTUELLEN WELT NOCH WICHTIGER.

FÄHIGKEITEN: Aus dem vorher Gesagten wird klar, dass die wichtigsten Fähigkeiten nicht die technischen sind. Emotionale Intelligenz (EI) gewinnt an besonderer Bedeutung.

EI ist die beschreibt die Fähigkeit, "eigene und fremde Gefühle (korrekt) wahrzunehmen, zu verstehen und zu beeinflussen." (Quelle: Wikipedia)

Wegen der räumlichen Distanz in verteilten Teams müssen wir lernen, eine Balance zwischen dem Artikulieren unserer eigenen Meinung and dem aktiven Nachfragen zu finden (auch bekannt unter dem englischen Schlagwort "Balancing Advocacy and Inquiry"). So erfahren wir mehr über die grundsätzlichen Ziele, die Bedürnisse und die Sorgen unserer Teampartner. Es gibt viele Modelle zur guten Gesprächsführung und vermutlich sind sie alle auch für virtuelle Teams geeignet – sie müssen aber in die Praxis umgesetzt und immer wieder eingeübt werden. Das gilt auch für die Fähigkeit, loszulassen. Wir können im virtuellen Team nicht erzwingen, dass Dinge passieren – wenn das virtuelle Gegenüber nicht motiviert ist oder nicht in der Lage, unserem Ansinnen zu folgen, wird er es einfach nicht tun. Dagegen hilft nur erhöhte Empathie und Feedback – das ist es, was Menschen motiviert.

GRUNDANNAHMEN: Unsere Glaubenssätze zur virtuellen Arbeit haben einen starken Einfluss darauf, wie wir darüber fühlen, und als Konsequenz auch darauf, wie wir unsere Fähigkeiten entwickeln und uns verhalten. Und das hat nichts mit dem Alter zu tun! Wenn wir glauben, dass virtuelle Arbeit schrecklich ist, ineffektiv und in keinster Weise ein Ersatz für die gute alte Zusammenarbeit in physischer Präsenz, dann wird es für uns genau so sein. Wenn ich in virtuellen Teams arbeite, stelle ich am Anfang sicher, dass unsere Grundannahmen positiv sind: Wir können effektiv sein, wenn wir die passenden Plattformen benutzen, uns proaktiv verhalten und unsere Fähigkeiten ständig weiterentwickeln. Und am wichtigsten ist es, daran zu glauben, dass virtuelle Arbeit Spaß machen kann.

IDENTITÄT: Hier kommt das Sahnehäubchen. Es ist so simpel aber es ist der entscheidende Trick: Teams müssen ihre Identität überprüfen und umdefinieren. Wenn Sie es schaffen, die neue Identität des virtuellen Teams von Herzen anzunehmen, wird alles andere leicht sein. Dann werden Sie sich auf jede Interaktion mit den Teamkollegen freuen und Sie werden unermüdlich daran arbeiten, Ihre Kollaborationsräume zu optimieren sowie Ihre Fähigkeiten und Ihr Teamverhalten. Und wenn es an der Zeit ist, werden Sie es nicht erwarten zu können, Ihre Kollegen in physischer Präsenz zu treffen. Weil Sie dann das alles tun können, für das unsere schlauen Ingenieure noch keinen technologischen Ersatz gefunden haben: zusammen essen und trinken, sich berühren, zusammen Zeit am Strand verbringen oder wo auch immer es Spaß macht. Sie werden das genießen, weil Sie wissen, dass die Arbeit warten kann, bis Sie zurück im virtuellen Büro sind.

(image: http://adventurejay.com/blog/ – CC license)

PS: Es hat einige Erweiterungen des Modells der Logischen Ebenen gegeben. Die populärste ist von Robert Dilts selbst. Alle diese Erweiterungen zeigen, dass was wir tun, einen Zweck hat und dass dieser Zweck uns – als Individuen, Teams und als Organisationen – antreibt. Es ist die Frage: "Warum machen wir das alles?" Wenn die Antwort nicht Kraft gibt und motivierend ist, ergibt es keinen Sinn, sich Gedanken über die neue Teamidentität zu machen.

 

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